Morbus Scheuermann

Morbus Scheuermann ist eine jugendliche Wachstumsstörung der Wirbelsäule, welche überwiegend thorakal, d.h. auf Brusthöhe auftritt. Seltener kommt es im lumbalen, also im Lendenbereich zu der Störung. Mädchen sind seltener betroffen als Jungen und die Ausprägung der Scheuermann-Krankheit kann sich von Fall zu Fall stark unterscheiden.

Hintergrund: Der Aufbau der Wirbelsäule

Um die Wachstumsstörung zu verstehen, muss man den Wirbelsäulen-Aufbau kennen: Die Wirbelsäule besteht, vereinfacht gesagt, aus Wirbelkörpern, die übereinandergestapelt sind. Zwischen diesen Wirbelkörpern sind die Bandscheiben gelegen. Diese stellen sozusagen elastische Puffer dar, die verhindern, dass die Wirbelkörper aufeinander reiben. Der „Stapel“ ist aber kein gerader „Turm“ – die Wirbelsäule weist eine doppelte S-Form auf. Genau wie alle anderen Strukturen des menschlichen Körpers muss die Wirbelsäule in der Wachstumsphase, also im Kindes- und Jugendalter mitwachsen und zwar synchron. Und genau das ist bei Morbus Scheuermann nicht der Fall: Da die Wirbelkörper ungleichmäßig wachsen, nehmen sie eine falsche Form an.

Morbus Scheuermann: Hyperkyphose und eine Abschwächung der Lordose

Stellt man sich die Wirbel zur Vereinfachung als Viereck vor, heißt das, dass die Vorderkante der Vierecke in Richtung Brust bzw. Bauch langsamer wächst als die dorsale, also die nach hinten gerichtete Kante. Hierdurch entsteht eine keilartige Form der Wirbelkörper, die Spitze deutet zur Bauchseite hin. Liegen mehrere solcher sogenannten Keilwirbel übereinander, kommt es zu einer krankhaften Krümmung der Wirbelsäule. Im Brustwirbelbereich ist eine leichte Krümmung nach hinten völlig normal. Sie wird als Kyphose bezeichnet. Im Rahmen von Morbus Scheuermann ist die Kyphose jedoch sehr stark, sodass auch von einer Hyperkyphose gesprochen wird.

Ist der Lendenwirbelbereich von der Scheuermann-Krankheit betroffen, kommt es dort zu einer Abschwächung der Lordose, also der natürlichen Krümmung nach vorne. Es gibt Fälle, in denen die Ausprägung von Morbus Scheuermann so stark ist, dass sich in der Lendenwirbelsäule eine Kyphose bildet. Sowohl im Lendenwirbel- als auch im Brustwirbelbereich ist eine Seitwärtskrümmung möglich. Solch eine seitliche Verkrümmung der Wirbelsäule wird Skoliose genannt.

Drei Stadien der Krankheit

Die Scheuermann-Krankheit wird auch als juvenile Kyphose bzw. als Adoleszenten-Kyphose bezeichnet: Die ersten Symptome der Wachstumsstörung treten i.d.R. im Lebensabschnitt zwischen der Pubertät und dem Erwachsenenalter auf. Die Art der Symptome als auch der genaue Zeitpunkt des Auftretens sind maßgeblich vom betroffenen Bereich abhängig: Während Wachstumsstörungen im Brustwirbelsäulenbereich vor allem eine sichtbare Verkrümmung der Wirbelsäule bedingen, tritt diese sichtbare Verkrümmung im Lendenwirbelbereich nicht immer auf.

Die Scheuermann-Krankheit wird nach den Symptomen in drei verschiedene Stadien unterteilt: das sogenannte Anfangsstadium, das floride (aktive) Stadium und das Endstadium.

Die Symptome im Anfangsstadium

Im ersten Stadium der Krankheit treten i.d.R. keine oder kaum Symptome auf, sodass Morbus Scheuermann zunächst unbemerkt bleibt. Selten gehen mit diesem Stadium Schmerzen einher. Etwas häufiger kommt es zu Bewegungseinschränkungen und zu einer schnellen körperlichen Ermüdung.

Das floride Stadium

Das floride Stadium ruft bereits deutlichere Symptome hervor: die Schmerzen häufen sich und es entstehen die ersten Anzeichen einer Wirbelsäulenverkrümmung. Betreffen die Wachstumsstörungen die Wirbel der Brustwirbelsäule, führt dies typischerweise zu einem Rundrücken. Mit diesem kann ein Hohlrundrücken einhergehen, da sich die Lendenwirbelsäule gleichzeitig nach vorne wölbt, um den Rundrücken auszugleichen. Ist die Lendenwirbelsäule von der Scheuermann-Krankheit betroffen, entsteht ein Flachrücken, d.h. die Lordose flacht sich ab.

Die Symptome im Endstadium

Sobald die Deformierung der Wirbelsäule zu Fehlbelastungen und Abnutzungserscheinungen führt, hat die Scheuermann-Krankheit das Endstadium erreicht. Es kommt häufiger zu Schmerzen. Diese Schmerzen sind sowohl auf die Veränderungen an der Wirbelsäule als auch auf Veränderungen der Gelenke, der Muskulatur und der Bänder zurückzuführen, welche durch die Fehlhaltungen und die ungünstige Statik der Wirbelsäule bedingt sind.

Genetische Veranlagung, eine schwache Rückenmuskulatur und weitere Risikofaktoren

Bis heute ist nicht ganz geklärt, was genau die Wachstumsstörungen im Rahmen von Morbus Scheuermann auslöst. Es gilt allerdings als nahezu gesichert, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen: In einigen Familien tritt die Krankheit vermehrt auf. Zu den vererbbaren Merkmalen zählen u.a. eine Minderbelastbarkeit der Wirbelkörper, Vitaminmangelsyndrome, die eine unzureichende Versorgung der Wirbelkörper etc. begünstigen sowie angeborene Anomalitäten an den Randleisten der Wirbelkörper.

Darüber hinaus sind einige Risikofaktoren bekannt, die die Krankheit begünstigen können. Zu diesen Risikofaktoren zählen:

  • Eine schwache Rückenmuskulatur bzw. eine zu starke Bauch- und/ oder Brustmuskulatur
  • Sportarten, die von starken Dreh- und Stauchbelastungen geprägt sind (z.B. Badminton)
  • Die Einnahme von langen Sitzpositionen in gebeugter Haltung, wodurch eine vermehrte Biegebelastung der Wirbelsäule entsteht

Die Diagnose von Morbus Scheuermann

Für Eltern gilt, dass sie regelmäßig den Rücken ihrer Kinder auf das Wachstum hin untersuchen sollten. Sollte der Rücken Auffälligkeiten aufweisen, ist ein Arztbesuch ratsam. Zu diesen Auffälligkeiten zählen die stark ausgeprägt Kyphose und eine abgeflachte Lordose.

Als erster Ansprechpartner gelten der Haus- und der Kinderarzt. Dieser wird den Rücken des Kindes untersuchen und dieses eventuell an einen Orthopäden überweisen.

Der Orthopäde wird zuerst ein Anamnesegespräch mit dem Patienten führen. In diesem Gespräch erkundigt er sich nach Schmerzen oder Beweglichkeitseinschränkungen. Zudem wird er sich nach besonderen Belastungen der Wirbelsäule erkundigen, also, ob das Kind beispielsweise eine bestimmte Sportart ausübt. Weitere Themen der Anamnese sind Krankheitsfälle in der Familie und frühere Behandlungen und Erkrankungen.

Die körperliche Untersuchung

Es folgt die körperliche Untersuchung. Der Arzt testet die Beweglichkeit der Wirbelsäule, indem er den Patienten bittet, sich nach vorne und nach hinten zu beugen. Während der Flexion und der Extension misst der Arzt die Rückenlänge aus. Zudem kann er die Seitenbeweglichkeit und die Rotationsfähigkeit der Wirbelsäule bestimmen, indem er den Patienten darum bittet, die jeweiligen Bewegungen auszuführen. Die Wirbel sind mit sogenannten Dornfortsätzen ausgestattet. Anhand dieser kann der Orthopäde den Verlauf der Wirbelsäule ertasten: Befinden sich die Wirbel nicht auf einer Linie, lassen sich Haltungsschäden in Form einer Skoliose erkennen. Außerdem kann es sein, dass einzelne Abschnitte der Wirbelsäule bei der Flexion, also beim Vorbeugen, fixiert bleiben. Der Grad der Wirbelsäulenkrümmung kann durch die Verwendung eines sogenannten Kyphometers ermittelt werden. Hierbei handelt es sich um einen Winkelmesser, welcher an den Rücken des Patienten angelegt wird. Es wird der Winkel zwischen zwei Geraden der Burstwirbelsäule und der Halswirbelsäule gemessen. Dabei gilt: Je größer der Winkel, desto ausgeprägter die Kyphose. Darüber hinaus muss der Arzt andere Erkrankungen der Wirbelsäule wie Morbus Bechterew ausschließen. Nur so kann die Therapie optimal auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnitten werden.

Die Röntgenuntersuchung als sichere Diagnosemethode

Eine sichere Methode zur Diagnose von Morbus Scheuermann ist die Röntgenuntersuchung. Anhand dieser kann der Arzt nicht nur die Knochenentwicklung beurteilen, sondern auch das Skelettalter bestimmen. Des Weiteren kann eine Magnetresonanztomographie durchgeführt werden, um Veränderungen an der Wirbelsäule sichtbar zu machen.

Die möglichen Behandlungsmaßnahmen sind vielfältig

Die Ziele der Morbus Scheuermann-Therapie liegen zum einen in der Reduktion und der Beseitigung der Schmerzen und zum anderen in der Verhinderung des Fortschreitens bzw. des Auftretens einer schwerwiegenden Wirbelsäulendeformität. Zudem wird versucht, die Deformität zu korrigieren.

Welche Therapiemaßnahmen zum Einsatz kommen, hängt sowohl vom Erkrankungsstadium als auch von der Beschwerdesymptomatik sowie vom Ausmaß der Fehbildung ab. Dabei gilt: So lange das Wachstum des Patienten noch nicht abgeschlossen ist, ist eine Korrektur zumindest theoretisch möglich. Eine Verbesserung wird beispielsweise durch die Stabilisierung der Muskeln erzielt. Die muskuläre Stabilisierung gleicht die Haltungsschäden aus. Außerdem tragen bestimmte Übungen zu einer Verbesserung der Beweglichkeit der Wirbelsäule bei. Im Falle von schwereren Ausprägungen, wenn sich beispielsweise ein ausgeprägter Rundrücken gebildet hat, reichen diese Maßnahmen jedoch oft nicht aus. Dann kann dem Patienten ein Korsett verschrieben werden, welches das Wachstum korrigieren soll. Außerdem kann eine sogenannte Aufrichtungsoperation in Betracht gezogen werden. Diese ist jedoch erst durchführbar, wenn die Wachstumsphase abgeschlossen ist.

Neben diesen Methoden kann auch der Alltag in bestimmter Weise gestaltet werden, um die Beschwerden zu lindern. So sollte beispielsweise am Arbeitsplatz auf rückengerechte Sitzmöglichkeiten geachtet werden. Zudem kann eine sogenannte Rückenschule Morbus Scheuermann-Patienten hilfreiche Tipps für den rückenschonenden Alltag geben. Muskuläre Entspannungs- und Aufbauübungen sollten ebenfalls in den Alltag integriert und zwischendurch ausgeführt werden.

In der Krankengymnastik werden verkürzte Muskelgruppen aufgedehnt. Außerdem können Massagen, Rotlicht und weitere Maßnahmen wie die Elektrotherapie gegen muskuläre Dysbalancen helfen. Es wird deutlich, dass es eine Vielzahl an verschiedenen Methoden gibt, um Morbus Scheuermann entgegenzuwirken. Welche davon die individuell passende ist, wird gemeinsam mit dem behandelnden Arzt ermittelt.

Die Krankengymnastik als wichtigste Therapiemaßnahme

Die Krankengymnastik ist die wichtigste Therapiemaßnahme bei Morbus Scheuermann. Durch die krankhafte Krümmung der Brustwirbelsäule sind die Rückenmuskeln zu schwach, während die Brustmuskeln stark verkürzt sind. Es ergeben sich zwei Komponenten der Physiotherapie: Die Brustmuskulatur muss gedehnt und die Rückenmuskulatur gestärkt werden. Außerdem werden Beweglichkeitsübungen für die Wirbelsäule durchgeführt. Vor allem, wenn die Wachstumsphase noch nicht abgeschlossen ist, reicht die Krankengymnastik oftmals aus, um die Krankheit in den Griff zu bekommen.

Das Tragen eines Rückenkorsetts

Das Tragen eines bestimmten Korsetts richtet die Wirbelsäule auf. Das Korsett muss vor allem in der Anfangszeit nahezu 24 Stunden am Tag getragen werden, d.h. es wird nur zur Körperpflege ausgezogen. Nach einiger Zeit genügt es, das Korsett nur in der Nacht zu tragen. Problematisch kann das Tragen des Korsetts sein, wenn Kinder bzw. Jugendliche von Gleichaltrigen geärgert werden. Das kann dazu führen, dass die Patienten das Korsett nicht wie vorhergesehen tragen. Außerdem muss regelmäßig ein Arzt aufgesucht werden, um überprüfen zu lassen, ob das Korsett noch so sitzt wie es muss. Ist das nicht der Fall, kann der behandelnde Arzt das Korsett jederzeit anpassen.

Die symptomatische Behandlung durch die Gabe von Medikamenten

Schmerzen treten bei Morbus Scheuermann meist nur im späten Stadium auf. Jedoch kann die Verkrümmung in allen Stadien zu einer muskulären Fehlbelastung führen und Nerven einklemmen. Damit gehen zum Teil sehr starke Schmerzen einher, sodass die Behandlung mit schmerzlindernden Mitteln sinnvoll sein kann. Medikamente für diesen Zweck sind Ibuprofen und andere nicht-steroidale Antirheumatika. Darüber hinaus können Muskelrelaxantien, also Wirkstoffe, die die Muskeln entspannen, eingesetzt werden.

Eine schonende Sitzhaltung und weitere Möglichkeiten im Alltag

Wie bereits erwähnt, sollte auch der Alltag an die Krankheit angepasst werden. Es sollten beispielsweise rückenschonende und rückenstärkende Sportarten wie Schwimmen ausgeführt werden. Demgegenüber müssen Sportarten, die den Rücken z.B. durch viele Drehbewegungen stark beanspruchen, gemieden werden. Badminton ist ein Beispiel für solche Sportarten. Des Weiteren sollten Personen, die viel am Schreibtisch sitzen, die Höhe von Stuhl und Tisch so einstellen, dass eine rückenschonende Haltung erreicht wird. Beim Schlafen kann eine Bauchlage eingenommen werden. Diese wird von Patienten mit Morbus Scheuermann häufig als angenehm empfunden.

Die Operation als letzter Ausweg

Eine Operation ist der letzte Ausweg in der Scheuermann-Therapie. Sie wird dann in Betracht gezogen, wenn …

… die Funktion der Lunge dadurch beeinträchtigt ist, dass die Wirbelsäule auf das Organ drückt
… die Schmerzen nicht durch konservative Maßnahmen gelindert werden können
… die Schmerzen so weit reichen, dass es zu einer starken psychischen Belastung kommt.

Eine Operation ist allerdings immer mit gewissen Risiken verbunden, sodass die Vor- und die Nachteile gut gegeneinander abgewogen werden müssen. Wie bereits erwähnt, liegt die Grundvoraussetzung für eine OP darin, dass die Phase des Wachstums bereits abgeschlossen ist.

Wird eine Operation durchgeführt, werden zunächst verschlissene Bandscheiben entfernt. Es wird körpereigenes Knochenmaterial verwendet, um die entstandenen Lücken wieder aufzufüllen. Zur Aufrichtung und Stabilisation der Wirbelsäule werden Schrauben und Metallplatten in die Wirbelsäule eingearbeitet. Um die Heilung bzw. das Aufrichten der Wirbelsäule zu unterstützen, wird im Anschluss an eine solche Operation häufig das Tragen eines Korsetts empfohlen.

Eine aufrechte Körperhaltung als beste Prophylaxe

Zur Prophylaxe von Morbus Scheuermann eignen sich sämtliche Maßnahmen, die eine aufrechte, gesunde Körperhaltung fördern. Zu diesen Maßnahmen zählen das regelmäßige Bauch- und Rückentraining und das Schwimmen. Außerdem sollten keine großen Lasten getragen werden und wenn, dann muss auf das Heben aus den Beinen heraus geachtet werden. Im Liegen sollte eine Bauchlage eingenommen werden und der Arbeitsplatz bzw. der Schreibtisch sollte stets so gestaltet sein, dass eine rückenschonende Haltung eingenommen werden kann.

Aktualisiert am 16. Februar 2021