Bulimie

In der Medizin heißt die Bulimie „Bulimia nervosa“. Es handelt sich um eine Essstörung, die in der Umgangssprache auch als Ess-Brech-Sucht bekannt ist. In den meisten Fällen leiden die Betroffenen an Fressanfällen, bei denen unkontrollierte Nahrungsmengen verschlungen werden. Anschließend wird ein künstliches Erbrechen herbeigeführt. Dieses Erbrechen wird entweder mit dem Finger oder mit anderen Gegenständen, die sich die Betroffenen in den Hals stecken, verursacht. Außerdem wird zu diversen anderen Mitteln gegriffen, um eine Gewichtsreduktion zu erreichen: Exzessive Sportbetätigungen, das Fasten und extreme Diäten sind nur einige dieser „Hilfsmittel“.

In Deutschland sind zwischen 0,9 und 1,5 Prozent der weiblichen Bevölkerung von der Essstörung betroffen. Die Störung beginnt zumeist im späten Teenageralter. Männer sind im Vergleich zu Frauen knapp zwanzigmal seltener betroffen.

Die Symptome – ein „Teufelskreislauf“ entsteht

Viele der Betroffenen haben Normalgewicht, sind aber fest davon überzeugt, dass sie „fett“ sind. Personen, die an Bulimie leiden, neigen zu starken Gewichtsschwankungen. Zu diesen kommt es u.a. aufgrund der Essattacken mit anschließendem Erbrechen. Häufig werden die Heißhungeranfälle sorgfältig geplant. Eine Person, die an Bulimie leidet, versucht die Krankheit i.d.R. zu verbergen. Vor dem Anfall kann es zu Gefühlen der inneren Leere, der Isolation und der Langeweile kommen. Auch Wut, Angst und Frustration gehören zu diesen Empfindungen. Die Essattacken und das Erbrechen führen häufig zu einem Nachlassen dieser Emotionen, sodass ein „Teufelskreislauf“ entsteht.

Nach dem Essen und dem anschließenden Erbrechen kommt es häufig zu Scham- und Schuldgefühlen: Viele der Betroffenen haben ein sehr geringes Selbstwertgefühl und leiden an depressiven Symptomen. Um den Vorgang des Essens und des Erbrechens zu erleichtern, greifen viele auf bestimmte Medikamente und andere Substanzen zurück.

Entwicklungspsychologische, soziokulturelle und familiäre Ursachen

Eine Bulimie entsteht aufgrund zahlreicher Faktoren – sowohl entwicklungspsychologische als auch soziokulturelle, genetische und familiäre Aspekte spielen eine Rolle. Mehrere Studien konnten belegen, dass ein Angehöriger einer essgestörten Patientin bzw. eines essgestörten Patienten eher ebenfalls eine Essstörung entwickelt als die Mitglieder einer gesunden Familie. Außerdem konnten diese Studien zeigen, dass es in Familien mit Bulimie-Patienten häufiger zu einer Zwangsstörung, zu depressiven Erkrankungen und zu einer Substanzabhängigkeit kommen kann als in Familien ohne Bulimie-Patienten.

Geringe Selbstwertgefühle, depressive Probleme und gestörte Affekt- und Impulsregulationen nehmen eine besondere Rolle bei der Entwicklung einer Bulimie ein: Das Erbrechen führt zwar zunächst zu einem Gefühl der Entlastung, endet jedoch in Schuld- und Schamgefühlen sowie in der Wahrnehmung des eigenen Kontrollverlustes. Das führt zu einer immer tieferen Selbstwertkrise.

Des Weiteren nimmt die Persistenz des Patienten einen besonderen Stellenwert ein: Handelt es sich bei der betroffenen Person um eine Person mit hohem Durchhaltevermögen bzw. mit einer ausgeprägten Zähigkeit, wird der „perfekte Körper“ mit mehr Eifer angestrebt als bei Personen, die nicht solch ein Durchhaltevermögen aufweisen.

Die Gesellschaft hat maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung der Bulimia nervosa

In der westlichen Welt – und vor allem in der Ober- und der Mittelschicht – treten Essstörungen viel häufiger auf als in diversen anderen Kulturkreisen. Außerdem gehören Models und Hochleistungssportler zu den Risikogruppen. Unter den Sportlern sind vor allem diejenigen betroffen, die eine Sportart ausüben, in der der Körper ein ästhetisches Mittel darstellt (z.B. Ballett). Es bestehen also definitiv soziokulturelle Faktoren, die die Entwicklung einer Bulimie beeinflussen. Diese werden auch deutlich, wenn man den folgenden Vergleich zieht: Während eine junge, gesunde Frau einen Körperfettanteil von 22 bis 25 Prozent haben sollte, liegt das Schönheitsideal der westlichen Welt bei einem Körperfettanteil von maximal 15 Prozent. Dieses Schönheitsideal wird durch diverse Medien (Fernsehen, Zeitschriften, …) an junge Frauen herangetragen, wodurch sich diese dem Druck ausgesetzt fühlen, dem Schönheitsideal gerecht werden zu müssen. Die männlichen Altersgenossen sind von diesem Phänomen viel seltener betroffen.

Besonders gefährdet sind Mädchen im Teenageralter, die eine Diät über einen längeren Zeitraum durchführen und depressive Verstimmungen samt geringem Selbstwertgefühl aufweisen. Ein Grund, dass diese Mädchen zu einer Essstörung neigen, kann auch darin gesehen werden, dass von Jugendlichen immer früher ein gewisses Maß an Autonomie und Selbstbehauptung erwartet wird – junge Frauen mit einem geringen Selbstwertgefühl versuchen ihre Anpassungsfähigkeit durch die Erfüllung des Schlankheitsideals zu demonstrieren.

Die Diagnose der Bulimie

Bei einem Verdacht auf Bulimie sollte man zunächst seinen Hausarzt aufsuchen. Dieser wird ein Anamnese-Gespräch durchführen und den oder die Betroffene an einen Spezialisten weiterleiten. Die Anamnese umfasst i.d.R. die folgenden Fragen:

  • Ist die betroffene Person mit ihrem Körper zufrieden?
  • Fühlt sich die Person dick?
  • Klagt die Person über Heißhungerattacken?
  • Achtet die Person sehr darauf, was und wie viel sie isst?
  • Wird die Nahrung wieder erbrochen? Wenn ja, wie häufig?
  • Klagt die Person über starke Bauchschmerzen, Verstopfung und Muskelschwäche?

Wichtig ist, dass zwischen dem Patienten und dem Arzt ein vertrauensvolles Verhältnis herrscht. Nur so kann sich die Betroffene gegenüber dem Arzt öffnen und die Probleme zugeben. Als ein weiterer Faktor, der dieses Eingestehen erschwert, kommt eine falsche Einschätzung des Patienten hinzu: Dieser ist nicht immer davon überzeugt, dass es sich bei der Essstörung um ein krankhaftes Verhalten handelt – die Betroffenen denken häufig, sie könnten das Problem auch eigenständig in den Griff bekommen.

Die körperliche Untersuchung

Eine Bulimie kann dem Herz, den Nieren, dem Magen-Darm-Bereich, den Zähnen und anderen Organen und Körperteilen schaden. Der Grund hierfür liegt darin, dass mit dem Erbrechen wichtige Salze und andere Nährstoffe verloren gehen. Außerdem kann die Magensäure u.a. die Speiseröhre angreifen. Aus diesem Grund wird der Arzt das Blut des Patienten untersuchen. Außerdem wird er ein EKG, einen Ultraschall und ein Herzecho durchführen. Somit lassen sich die Funktionen der Organe überprüfen.

Die psychologische Untersuchung

Eine körperliche Untersuchung reicht im Falle einer Bulimie nicht aus – der (Haus-) Arzt wird dem Patienten zu einer psychotherapeutischen Hilfe raten. Der Psychotherapeut führt ein klinisches Interview durch, in dessen Rahmen er die psychischen Beschwerden des Patienten erfassen kann. Hierbei wird auch ermittelt, ob der Patient weitere Störungen wie eine Persönlichkeitsstörung oder eine Depression aufweist.

Die Behandlung: Durchbrechen des „Teufelskreislaufs“

Im Rahmen der Behandlung gilt es zunächst den „Teufelskreislauf“ der Bulimie zu durchbrechen. Hierzu kann im Rahmen der Therapie eine Kontaktsperre zu Freunden und Angehörigen verhängt werden. So soll verhindert werden, dass die Patienten Zugang zu „externen Lebensmitteln“ erhalten. Darüber hinaus ist es in der Therapie verboten, Nahrungsmittel mit auf das Zimmer zu nehmen. Es ist Pflicht, an den gemeinsamen Mahlzeiten mit den anderen Patienten teilzunehmen – für viele Betroffene ist die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten eine große Stütze. Eine Nachbetreuung im Anschluss an die Mahlzeiten kann dabei helfen, das belastende Gefühl des „Vollseins“ zu überwinden ohne, dass es zum Erbrechen kommt.

Langfristig wird in der Therapie versucht, dem Patienten ein Gefühl für die richtigen Essensmengen und für eine ausgewogene Ernährung zu vermitteln. Außerdem sollen die Gefühle von Hunger und Sättigung wieder als normal empfunden werden.

In Einzel- und in Gruppengesprächen werden die relevanten Themen und mögliche Auslöser einer Bulimie besprochen. Diese Gespräche sollen den Patienten bei der psychosozialen Aufarbeitung ihrer Probleme helfen. Außerdem soll so das Selbstwertgefühl der Betroffenen gestärkt werden.

In einigen schwierigen Fällen können auch Serotonin-Wiederaufnahmehemmer zum Einsatz kommen. Bei diesen handelt es sich um Antidepressiva, welche das Ess-Brech-Verhalten reduzieren können: Die Hungerzentren im lateralen Hypothalamus werden gedämpft und es kommt zu einer deutlichen Verbesserung der Stimmung.

Den Grundstein für die Vorbeugung legen die Eltern

Einer Bulimie oder auch Bulimia nervosa, wie sie in der Fachsprache heißt, kann nicht direkt vorgebeugt werden. Viel mehr liegt es an den Eltern, dem Nachwuchs bereits im Kindesalter ein gesundes Selbstbewusstsein zu vermitteln. Die Eltern sollten deutlich machen, dass es in einer Familie keine Tabuthemen gibt. Sie sollten dem Kind bedingungslose Zuneigung und Liebe vermitteln. Außerdem erhöht ein essgestörtes Verhalten bei den Eltern das Risiko, dass auch das Kind ein gestörtes Essverhalten entwickelt. Eltern sollten also ein normal geregeltes und gesundes Essverhalten vorleben. Hierzu gehören auch regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten. Diese sollten die Form einer kommunikativen Situation annehmen und nicht als eine Art Pflicht erlebt werden. Des Weiteren sollten Eltern ein Auge darauf haben, ob das Kind genug und kontrolliert isst. Hierzu gehört auch die Beachtung, ob Lebensmittel in ungewöhnlichen Maßen aus den Schränken verschwinden. Außerdem sollten Eltern darauf achten, ob das Kind öfter versucht, die gemeinsamen Mahlzeiten zu meiden und ob der Nachwuchs sich nach dem Essen am liebsten sofort vom Tisch verabschieden würde.

Aktualisiert am 14. Februar 2021