Reizdarm

Der Reizdarm wird auch als Reizdarm-Syndrom oder als Colon irritabile bzw. als Reizkolon bezeichnet. Es handelt sich um eine der der am häufigsten auftretenden Magen-Darm-Erkrankungen in Deutschland. Anders als der Begriff „Colon irritabile“ vermuten lässt (Colon bedeutet „Dickdarm“), ist nicht ausschließlich der Dickdarm von der Erkrankung betroffen – die Beschwerden können sich auf den gesamten Magen-Darm-Trakt beziehen. Frauen sind knapp doppelt so häufig vom Reizdarm betroffen wie Männer. In den meisten Fällen treten die Beschwerden das erste Mal im Alter zwischen 20 und 30 Jahren auf. Sie können mehrere Monate bis Jahre andauern.

Der Nahrungsbrei passiert den Magen-Darm-Trakt zu schnell oder zu langsam

Aber was ist ein Reizdarm überhaupt? Mit dem Begriff wird der Zustand beschrieben, in dem der Nahrungsbrei den Magen-Darm-Trakt zu langsam oder zu schnell passiert. Das kann zu Verstopfungen (bei zu langsamer Passagezeit) sowie zu Durchfällen (bei zu schneller Passagezeit) führen. Die dabei gebildeten Darmgase können zu starken Bauchschmerzen führen.

Mit dem Reizdarm gehen vielfältige Symptome einher

Die Symptome im Rahmen des Reizdarms können von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Meistens klagen die Betroffenen über Verdauungsbeschwerden. Zu diesen zählen Bauchschmerzen, die in Form eines Brennens oder eines Stechens auftreten und sich krampfartig anfühlen können. Außerdem besteht meist ein Druckgefühl im Unterbauch, welches von einem Völlegefühl begleitet wird. Es kommt zu hörbaren Darmgeräuschen und der Bauch kann sich aufblähen. Zusätzlich können Blähungen entstehen. Die Verstopfungen können solche Ausmaße annehmen, dass die Betroffenen in einer Woche nur drei Stuhlgänge haben; der Durchfall kann zu mehr als drei Toilettengängen am Tag führen und breiig oder gar flüssig erscheinen. Ebenso kann sich ein glasiger Schleim auf dem Stuhl bilden.

Die Symptome des Reizdarm-Syndroms treten i.d.R. tagsüber auf. Die Beschwerden verstärken sich in stressigen Phasen.

Die Beziehung zwischen dem Reizdarm und dem Reizmagen

Zusätzlich zu den typischen Beschwerden des Reizdarms weisen einige Betroffene die Symptome eines Reizmagens auf. Hierzu zählen Verdauungsbeschwerden wie ein sehr schnelles Völlegefühl nach dem Essen und Magenschmerzen. Außerdem können allgemeine Beschwerden wie Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schlafstörungen entstehen. Wenn Frauen betroffen sind, kann es zusätzlich zu einem Prämenstruellen Syndrom kommen und auch während der Periode können sonst ausbleibende Beschwerden aufkommen. Dabei ist nicht immer eindeutig feststellbar, ob es sich bei den Symptomen um die Merkmale eines Reizdarms oder eines Reizmagens handelt – die Erkrankungen ähneln sich teilweise sehr und bedingen einander.

Zahlreiche Theorien zur Ursachenerklärung

Die genaue Ursache für das Reizdarm-Syndrom ist bisher unbekannt. Es bestehen zahlreiche Theorien, von denen bisher jedoch keine als wissenschaftlich belegt gilt. So werden u.a. bakterielle Infektionen des Magen-Darm-Trakts als möglicher Auslöser gesehen. Außerdem nehmen einige Mediziner an, dass eine abnormale Darmperistaltik den Reizdarm bedingt. Wiederum nehmen andere Ärzte an, dass eine Störung der Immunfunktion im Verdauungssystem der Auslöser sein kann. Darüber hinaus konnten bei einem bestehenden Reizdarm immer wieder bestimmte Veränderungen im Darm der Patienten beobachtet werden. Dass es sich bei diesen Veränderungen um die Auslöser des Syndroms handelt, gilt jedoch ebenso wenig als gesichert. Der Grund: Die Veränderungen treten auch im Rahmen von völlig anderen Erkrankungen auf. Bei den unspezifischen Veränderungen handelt es sich u.a. um die folgenden:

Eine erhöhte Durchlässigkeit der Darmschleimhaut als mögliche Ursache

Die benachbarten Zellen in der Schleimhaut des Darms sind jeweils über eine sogenannte Haftbrücke miteinander verbunden. Diese Haftbrücken schließen die Verbindung zwischen den benachbarten Zellen dicht ab – Krankheitserreger und Fremdstoffe haben keine Chance, zwischen den Zellen hindurch in die Schleimhaut zu gelangen. Im Rahmen des Reizdarm-Syndroms konnte immer wieder beobachtet werden, dass diese „Barrieren“ zwischen den Zellen schneller abgebaut werden als das normalerweise der Fall ist. Dadurch sind die Zellen nicht mehr so fest aneinandergebunden, sodass Krankheitserreger und Fremdstoffe ein leichteres Spiel haben, in die Darmschleimhaut einzudringen und eine Immunreaktion zu bewirken.

Eine weitere mögliche Ursache: die erhöhte Immunaktivität in der Darmschleimhaut

Darüber hinaus wurde in den Gewebeproben von betroffenen Personen immer wieder eine erhöhte Immunaktivität festgestellt. Diese erhöhte Immunaktivität macht sich in Form von vermehrten Abwehrzellen und deren Botenstoffen bemerkbar. Warum es zu solch einer verstärkten Immunaktivität kommt, ist unbekannt.

Stress ist ein bedeutsamer Faktor für die Entstehung

Auch akuter Stress bewirkt bestimmte Veränderungen im Magen-Darm-Trakt. Es kommt beispielsweise zu einer gesteigerten Darmbewegung, zu einer gesteigerten Produktion von Magensaft sowie zu einer veränderten lokalen Immunreaktion im Darm. Menschen reagieren allerdings völlig unterschiedlich auf stressige Situationen, sodass einige stark unter den körperlichen und seelischen Folgen leiden, während andere gelernt haben, mit dem Stress umzugehen. Somit lassen sich keine allgemeingültigen Aussagen über die Relation zwischen Stress und dem Reizdarm machen. Als gesichert gilt jedoch sowohl, dass Stress ein bedeutsamer Auslöser ist als auch, dass er einen maßgeblichen Einfluss auf die Prognose der Krankheit hat: Hält der Stress über einen langen Zeitraum an, verschlechtert er erwiesenermaßen den Verlauf des Reizdarm-Syndroms.

Parallel zum Reizdarm auftretende Erkrankungen

Des Weiteren bestehen einige Erkrankungen, die überdurchschnittlich häufig zusammen mit einem Reizdarm auftreten. Demnach bestehen Vermutungen, dass Patienten, die an den folgenden Erkrankungen leiden, zur Entwicklung eines Reizdarms neigen.

  • Das chronische Erschöpfungssyndrom
  • Depressionen und Angststörungen
  • Das Datigue-Syndrom
  • Die Fibromyalgie
  • Chronische (Kopf-) Schmerzen

Ein Ungleichgewicht des Serotoninhaushalts

Der Botenstoff Serotonin ist u.a. für die Wahrnehmung von Schmerzen verantwortlich. Wird das Nervensystem des Darms im Rahmen eines Reizdarms angegriffen, kann das System die Ausschüttung von Botenstoffen nicht mehr richtig regulieren. Das kann dazu führen, dass Patienten ihren Darm stärker wahrnehmen. Somit wird ein Ungleichgewicht des Serotoninhaushalts als mögliche Ursache für die empfundenen Schmerzen im Rahmen des Reizdarms gesehen.

Die Diagnose erfolgt per Ausschlussverfahren

Da unklare Bauchbeschwerden wie Bauchschmerzen, Verstopfungen, Durchfall, Blähungen und ein Völlegefühl auf eine Vielzahl von verschiedenen Magen-Darm-Erkrankungen hinweisen können, stellt die Diagnose des Reizdarms eine sogenannte Ausschlussdiagnose dar.

Zunächst wird der Arzt ein Anamnesegespräch mit dem Patienten führen. Im Rahmen dieses Gesprächs werden u.a. die bestehenden Beschwerden sowie mögliche Vorerkrankungen thematisiert.

Es folgt eine gründliche körperliche Untersuchung: Der Arzt tastet den Bauch des Patienten ab und hört diesen mit einem Stethoskop ab. So sollen mögliche für das Reizdarm-Syndrom typische Darmgeräusche erkannt werden.

Um andere Ursachen für die Beschwerden ausschließen zu können, werden weitere Untersuchungen durchgeführt. Welche Diagnostik sinnvoll ist, entscheidet der Arzt von Fall zu Fall. Mögliche Untersuchungen für die weitere Abklärung der Ursachen sind u.a.:

  • Blutuntersuchungen (Leberwerte, Gallenwerte, Entzündungswerte, …)
  • eine Ultraschalluntersuchung des Bauches
  • eine rektale Tastuntersuchung
  • eine Darmspiegelung
  • Untersuchung des Stuhls auf Blut und auf Parasiten
  • Tests auf Nahrungsmittelallergien und –Unverträglichkeiten

Das Reizdarm-Syndrom kann nicht ursächlich behandelt werden

Beim Reizdarm-Syndrom besteht keine Möglichkeit der ursächlichen Therapie. Es gibt aber einige therapeutische Maßnahmen, die durchaus lindernd und entlastend wirken können. So sollten beispielsweise Mahlzeiten regelmäßig eingenommen werden. Dabei gilt: Fünf kleinere, über den Tag verteilte Mahlzeiten sind besser verträglich als drei große Mahlzeiten. Beim Essen sollte man sich Zeit nehmen und die Lebensmittel sollten gut zerkaut werden. Darüber hinaus sollte man am Tag nicht weniger als zwei Liter Flüssigkeit zu sich nehmen. Alkohol sollte man meiden oder zumindest in Maßen genießen.

Zwiebeln, Bohnen und andere Lebensmittel verursachen und verstärken Blähungen. Diese Lebensmittel sollten gemieden bzw. deren Konsum sollte eingeschränkt werden. Ebenso verhält es sich mit großen Mengen an frischem Obst und Gemüse – Patienten mit einem Reizdarm können kontrollieren, ob die Blähungen durch eine geringere Ballaststoffaufnahme reduziert werden. Bei der Ernährungsumstellung muss immer darauf geachtet werden, dass man trotz dem Verzicht auf einige Lebensmittel mit ausreichend vielen Vitaminen, Mineralien etc. versorgt ist. Um eine ideale Versorgung mit Nährstoffen zu erreichen, kann eine Ernährungsberatung in Anspruch genommen werden.

Weitere Maßnahmen, um einem Reizdarm entgegenzuwirken

Neben diesen ernährungsbezogenen Tipps können weitere Hinweise gegeben werden, wie man einem Reizdarm-Syndrom entgegenwirkt. Patienten sollten sich beispielsweise genügend Ruhe gönnen und viel Stress vermeiden. Hierzu können Entspannungsmethoden wie Yoga oder das Autogene Training durchgeführt werden. Bei Bauchschmerzen helfen Wärmeanwendungen wie eine Wärmflasche. Gegen Blähungen gibt es wiederum bestimmte pflanzliche Mittel. So wird beispielsweise Anis, Fenchel und Kümmel eine blähungsreduzierende Wirkung nachgesagt. Diese kann man in Form von Tees und auf andere Weisen zu sich nehmen.

Schmerzmittel, krampflösende Medikamente und Abführmittel können für einen gewissen Zeitraum eingenommen werden, um die Beschwerden zu lindern. Die Medikamente sollten jedoch keinesfalls zu häufig oder zu lange eingenommen werden. Für die ideale Anwendungszeit lässt man sich am besten von einem Arzt beraten. Die Symptome des Reizdarms können auch mit niedrig dosierten Antidepressiva gelindert werden. Diese wirken auf das Nervensystem des Darms ein. Ebenso können psychologische Verfahren wie eine psychodynamische Therapie helfen. Welches Verfahren am besten passt, ist von Patient zu Patient unterschiedlich.

Prophylaxe durch risikosenkende Maßnahmen

Außer einigen risikosenkenden Maßnahmen gibt es keine Möglichkeit, dem Reizdarm vorzubeugen. Von besonderer Relevanz ist vor allem die psychische Gesundheit: Wer das Gefühl hat, antriebslos und stets schlecht gelaunt zu sein, sollte eine Beratungsstelle oder einen Psychotherapeuten aufsuchen. Seelische Störungen können sich nämlich stark auf den Organismus und auf die körperlichen Funktionen auswirken. Bereits Personen mit dauerhaftem Stress weisen ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Reizdarm-Syndrom auf.

Um der Seele etwas Gutes zu tun und dem Reizdarm vorzubeugen, sollte man sich mindestens zweimal in der Woche sportlich betätigen. Entspannungsverfahren wie die Progressive Muskelrelaxation sorgen für ausreichend „Ruhe“ im Alltag und viel frisches Obst und Gemüse sowie Vollkornprodukte gelten als Grundlage für einen gesunden Lebensstil. Mahlzeiten sollten regelmäßig eingenommen werden und es gilt, Kaffee, Alkohol und andere den Magen reizende Stoffe in Maßen zu sich zu nehmen. Ebenso wie die Mahlzeiten sollte der Schlaf regelmäßig erfolgen.

Man kann dem Reizdarm zwar nicht gezielt vorbeugen, doch ein gesunder Lebensstil und eine psychische und körperliche Ausgeglichenheit senken das Risiko für die Erkrankung deutlich.

Aktualisiert am 17. Februar 2021