Hämophilie

Bei der Hämophilie, welche auch als Bluterkrankheit bekannt ist, handelt es sich um eine angeborene Störung der Blutgerinnung. Sie tritt nahezu ausschließlich beim männlichen Geschlecht auf. Menschen, die an einer Hämophilie leiden, neigen zu starken Blutungen. Der Grund liegt darin, dass es diesen Menschen an funktionstüchtigen Gerinnungsfaktoren mangelt. Diese Gerinnungsfaktoren bzw. eine funktionierende Blutgerinnung, an der zahlreiche Stoffe beteiligt sind, ist für das Stoppen der Blutung im Rahmen einer Verletzung verantwortlich: Die Gefäßwände werden durch Blutgerinnsel verschlossen. Bei einem gesunden Menschen hört die Blutung aus beschädigten Gefäßen i.d.R. innerhalb von wenigen Momenten auf. Bei Menschen mit Hämophilie ist das nicht der Fall.

Die Bluterkrankheit wird nach ihrer Intensität in drei Stufen unterteilt:

  • Mild: Diesen Stärkegrad weisen etwa 20 Prozent der Hämophilie-Patienten auf. Die Blutgerinnung beträgt in solch einem Fall 20 bis 70 Prozent der Aktivität eines gesunden Menschen.
  • Mittel: Auch von diesem Stärkegrad sind etwa 20 Prozent aller Hämophilie-Patienten betroffen. Die Faktorenaktivität beträgt fünf bis 20 Prozent einer gesunden Aktivität.
  • Schwer: In einem schweren Fall der Hämophilie beträgt die Faktorenaktivität weniger als fünf Prozent der normalen Aktivität. Von diesem Schweregrad sind ca. 55 Prozent aller Menschen mit Hämophilie betroffen.

Hämophilie – eine verzögerte oder unvollständige Blutstillung

Gerinnungsfaktoren stellen gelöste Stoffe im Blut dar, welche die Blutplättchen miteinander verkleben lassen. Somit tragen die Gerinnungsfaktoren zur Bildung von Blutgerinnseln, auch Thromben genannt, bei. Diese sind für die Abdichtung von Gefäßverletzungen zuständig. Das Blutgerinnungssystem des Menschen ist mit vielen weiteren derartigen Faktoren ausgestattet. Die Bluterkrankheit entsteht durch einen Mangel bzw. durch ein Fehlen eines bestimmten Gerinnungsfaktors. Auch eine unzureichende Funktion eines Faktors kann zu einer Hämophilie führen. Es wird zwischen zwei Arten der Hämophilie unterschieden: Bei der Hämophilie A weist der Faktor VIII eine herabgesetzte Aktivität auf, bei der Hämophilie B ist die Aktivität des Faktors IX herabgesetzt.

In Folge einer Hämophilie können keine Blutgerinnsel gebildet werden, sodass die Blutstillung entweder verzögert oder unvollständig abläuft. Aus diesem Grund können „Bluter“, wie die Betroffenen auch genannt werden, im Rahmen einer Verletzung starke Blutverluste erleiden und das sogar, wenn die Wunde nicht allzu groß ist.

Lang andauernde Blutungen und andere Symptome

Obwohl bei der Hämophilie A und der Hämophilie B unterschiedliche Gerinnungsfaktoren betroffen sind, weisen die beiden Formen keine unterschiedlichen Symptome auf. Generell kann gesagt werden, dass die Beschwerden umso früher auftreten, je weniger funktionstüchtige Gerinnungsfaktoren vorhanden sind. So merken Menschen mit einer milden Hämophilie häufig gar nicht, dass sie an dieser erkrankt sind. Menschen mit der starken Form klagen hingegen schon im Kindesalter über lang andauernde Blutungen. Diese Blutungen können sich auch schon im Säuglingsalter bemerkbar machen (z.B. beim Abfallen der Nabelschnur). Im Kleinkindalter kann es dann zu häufigem Nasenbluten kommen und es können Einblutungen in den großen Gelenken (z.B. im Knie) auftreten und zwar ohne eine vorhergehende Verletzung. Im Rahmen der milderen Formen kann es hingegen „nur“ bei Verletzungen sowie nach Operationen zu Einblutungen in die Gelenke oder in die Muskulatur kommen.

Die Aktivität des jeweiligen Faktors bleibt bei Menschen mit der Bluterkrankheit ein Leben lang vermindert. In dem Fall, dass die Krankheit nicht behandelt wird, führen die Einblutungen in die Gelenke und Muskeln nach und nach zu einer eingeschränkten Beweglichkeit. Blutungen im Magen-Darm-Trakt und im Gehirn sind lebensbedrohlich und müssen umgehend behandelt werden.

Die Bluterkrankheit ist genetisch bedingt

Die Ursache für die Bluterkrankheit findet sich in den Genen. Das Erbgut des Menschen ist auf 46 Chromosomen verteilt. Die Chromosomen 1 bis 22 sind sogenannte Autosomen. Diese kommen jeweils zweifach vor. Hinzu kommen noch die Geschlechtschromosomen X und Y. Diese sind ausschlaggebend für das Geschlecht des Menschen: Während Frauen über zwei X-Chromosomen verfügen, sind Männer mit einem X- und einem Y-Chromosom ausgestattet. Besteht eine Bluterkrankheit, ist das Erbmaterial auf einem der X-Chromosomen verändert. In seltenen Fällen kann das Erbmaterial auch auf beiden X-Chromosomen verändert sein. Dann ist eine Frau von der Hämophilie betroffen.

Die Hämophilie stellt eine sogenannte rezessive Erbkrankheit dar. Mit Ausnahme der Geschlechtschromosomen bei Männern ist das gesamte Erbgut doppelt vorhanden. Kommt es zu einer Veränderung (Mutation) eines Gens oder erbt ein Mensch ein mutiertes Gen von seinen Vorfahren, ist das zweite (gesunde) Gen dazu in der Lage, den Fehler auf dem mutierten Gen auszugleichen. Das ist bei Männern im Falle der Bluterkrankheit nicht der Fall, da Männer eben nicht über zwei X-Chromosomen verfügen.

Etwa jeder zweite Patient mit Hämophilie hat diese von den Eltern geerbt. Bei den anderen 50 Prozent hat sich die Erbinformation akut bzw. spontan verändert. Das nennt man Neumutation.

Die Diagnosestellung

Anzeichen für eine bestehende Bluterkrankheit können Blutergüsse durch minimale Stöße oder Blutungen sein, die spontan auftreten (Nasenbluten). Um eine Diagnose stellen zu können, wird der Arzt den Patienten zunächst nach seiner Krankheitsgeschichte sowie nach möglichen Krankheiten, die vermehrt in der Familie auftreten, fragen. Anschließend wird er dem Patienten Blut abnehmen und dieses untersuchen (lassen). Hierdurch kann eine Einschätzung der Gerinnungsfunktion erfolgen. Bei einer bestehenden Hämophilie ist die aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) im Vergleich zu gesunden Menschen verlängert. Zudem können im Fall einer schweren Hämophilie die Plasmathrombinzeit (PTZ) und die Thromboplastinzeit (TPZ) verlängert sein. Die Blutungszeit und die Blutplättchen-Anzahl sind unverändert.

Um eine genaue Diagnose stellen zu können, wird der Arzt den Patienten an einen Facharzt für Hämatologie überweisen. Dieser kann eine präzise Analyse der Aktivität der beiden Gerinnungsfaktoren VIII und IX vornehmen.

Sollte in der Familie bereits eine Hämophilie bekannt sein, wird die Gerinnung bei männlichen Babys i.d.R. direkt nach der Geburt überprüft.

Das von-Willebrand-Jürgens-Syndrom, bei dem die Blutungszeit verlängert ist, kann durch die Bestimmung der Blutungszeit diagnostiziert werden. Im Rahmen der Untersuchung wird die Zeit ermittelt, die vergeht bis eine Blutung stoppt.

Die Behandlung mit Gerinnungsfaktoren

Die Bluterkrankheit gilt als nicht heilbar. Es gibt jedoch einige Therapiemaßnahmen, die den Patienten ein weitestgehend normales Leben ermöglichen sollen. Im Rahmen dieser Maßnahmen werden Gerinnungsfaktoren gentechnisch hergestellt oder aus Blutplasma gewonnen. Anschließend werden die Gerinnungsfaktoren dem Patienten in die Venen gespritzt. Auf diese Weise soll die Konzentration des Gerinnungsfaktors VIII bzw. IV hochgehalten werden.

Bei den leichteren Formen der Bluterkrankheit ist eine Behandlung oft nur im Bedarfsfall, d.h. im Falle einer Blutung notwendig. Auch hier werden dem Betroffenen Gerinnungsfaktoren gespritzt. Kleine Wunden bedürfen nicht der Faktoren-Zufuhr. In solch einem Fall reicht es aus, die Blutung durch leichten Druck zu stoppen und sie abzudecken.

Muss sich ein Mensch mit Hämophilie einer Operation unterziehen, muss in jedem Fall vorab eine Gerinnungsfaktoren-Zufuhr erfolgen. Die Erhöhung der Faktoren-Konzentration kann bei leichten Formen der Hämophilie A auch durch die Gabe von Desmopressin erfolgen. Dieser Wirkstoff setzt den Faktor VIII aus körpereigenen Zellen frei. Patienten sollten vor einer Operation stets einen schriftlichen Behandlungsplan von ihrem Hämophilie-Facharzt einholen.

Es gilt, bestimmte Situationen und Stoffe zu meiden

Der Hämophilie kann man nicht unmittelbar vorbeugen, da sie durch genetische Faktoren bestimmt ist. Man sollte jedoch Aktivitäten meiden, die ein hohes Verletzungsrisiko bergen. Zudem dürfen bestimmte Schmerzmittel nicht eingenommen werden, da Inhaltsstoffe wie die Acetylsalicylsäure die Blutgerinnung zusätzlich hemmen. So kann zumindest schwerwiegenden Blutungen vorgebeugt werden. Wer von der Bluterkrankheit betroffen ist, erhält einen Notfallausweis, auf dem die Blutgruppe, die Art der Hämophilie und der behandelnde Arzt angegeben sind. Diesen Ausweis sollten Betroffene immer bei sich tragen.

Aktualisiert am 15. Februar 2021